Kultur ist so vielschichtig wie das Leben selbst und genauso verhält es sich mit der Interpretation selbiger. Was manche in freudiges Entzücken versetzt, löst bei anderen verständnisloses Kopfschütteln aus. Es ist auch gut so, sorgt diese Vielfalt doch für die breite individuelle Eigenidentifizierung der modernen Schweizer Gesellschaft. Alleine die vier Sprachregionen in unserem Land zeugen von hoher kultureller Vielfallt. Dabei ist die Sprache meist noch die geringste aller Unterschiede. Jede Region, und das manifestiert sich letztlich im Föderalismus selbst, birgt ihre eigene Kultur, Geschichte und Tradition.
Leider, so beklagen sich viele traditionsbewusste Menschen, verkommen viele alte Bräuche. Sie sterben, weil das Interesse und der Nachwuchs fehlten. Immer mehr Trachten- und Turnvereine, Jodler- und Singchörli kämpfen um Mitglieder und so letztlich um die eigene Existenz. Nicht selten werden Stimmen laut, die behaupten das Vereinssterben läge an der desinteressierten Jugend und dem schnellen technologischen Wandel. Tatsächlich liegt dem Wandel eher die Gesellschaft als Ganzes zugrunde. Die Welt, und mit ihr die Traditionen, verändern sich laufend und so wird einer gelebte Kultur, sowohl in einer urbanen wie auch in einer ländlich geprägten Bevölkerung, eher gefrönt, als einer alten, nichtnachvollziehbaren.
Eifrig steckt der Staat jährlich Millionen an Fördergelder in den Erhalt einzelner verstaubter Vereine, dessen Einzug in die Geschichtsbücher eigentlich längst überfällig wäre. Die Traditionen wahren ist dabei das Motto und das Einzige, was damit erreicht wird, ist die Konservierung nicht gelebter Kultur. Vereine, die letztlich nichts mehr zum aktiven Dorfleben beitragen, erfüllen nicht einmal die elementaren Grundsätze des eigenen Statuts. Gibt es deswegen in der Schweiz bald keine traditionellen Vereine mehr? Doch, denn was gerne von Behörden und Stiftungen übersehen wird, ist, dass die Gesellschaft ständig neue Kultur, neue Traditionen und Interessen hervorbringt. Kultur, die eben gelebt wird. Hier müsste der Staat ansetzen und beispielsweise Plattformen schaffen, die jungen engagierten Menschen den Einstieg in die kulturelle Arbeit erleichtert. Der Wert einer gesunden Vereinskultur widerspiegelt sich in einer aktiven und vitalen Gemeinde und zahlt sich meistens bereits nach kurzer Zeit aus.
Gute Projekte brauchen Zeit
Leider ist wie so oft zwischen Theorie und Praxis eine grosse Diskrepanz festzustellen. Was von Gemeinden, Kantonen und zum Teil auch von der Bevölkerung nicht auf Anhieb verstanden wird, wird abgelehnt oder verhindert. Je kleiner die Ortschaft, desto schwieriger die Ausgangslage. Dabei wirken auch in heutigen Projekten – genauso wie früher – Individualisten und Enthusiasten, die neue gesellschaftliche Akzente zu setzen versuchen. Viele investieren ihre ganze Freizeit in den Aufbau eines Angebots mit dem Ziel, den Menschen etwas Kulturgut näher zu bringen. Aus erst unkonventionell erscheinenden Projekten werden Brücken zu bestehenden Traditionen geschlagen und einen Mehrwert für die Vereinslandschaft im Allgemeinen geschaffen. Für solche Entwicklungen ist der Faktor Zeit massgebend und die Hilfe öffentlicher Institutionen unerlässlich.
Denn Spreu vom Weizen trennen
Natürlich wird nicht jeder mit seiner Idee Erfolg haben und einen florierenden Verein erschaffen. Doch ist es wichtig, Ausdauer und Engagement angemessen zu honorieren. Das Angebot an differenzierter Kultur soll dabei der Nachfrage der Bevölkerung gerecht werden und nicht umgekehrt. Es bringt nichts eine Tanzgruppe mit öffentlichen Geldern zu fördern, die jährlich 30 Personen an ihre Veranstaltungen zieht. Für eine Diversität im Kulturbereich bedarf es dem Zusammenschluss einzelner Ideen. Zentren oder andere Treffpunkte könnten dabei als Austauschplattformen dienen und helfen, verschiedene Ideen aus Sport, Musik und Freizeit zusammenzuführen. Es ist nicht nötig, diese Plattformen wie Jugendzentren zu betreuen. Menschen, die eine Vision haben, sollen lediglich die Möglichkeit erhalten, etwas zu erschaffen.
Quelle Bilder: Pontem Herisau (2008 — 2016)